Mein Knie knickt immer weg – der Riss des vorderen Kreuzbandes im Kindesalter
Beim Schulschikurs auf einer Eisplatte in Rückenlage geraten und gestürzt…in der Pause beim Fangen spielen geschubst und über einen Hügel gestolpert…beim Fußballspiel mit zu viel Einsatz um den Ball gekämpft – so schnell reißt ein Kreuzband beim Kind.
Nach anfänglichen Schmerzen und Schwellung des Kniegelenkes erholen sich Kinder oft relativ schnell wieder nach einer Knieverletzung. Ein Gelenkserguss im Kindesalter darf aber nicht bagatellisiert werden. Wenn das Knie auslässt, ist das absolut ernst zu nehmen und muss unbedingt abgeklärt werden, weil die Folgen eines instabilen Kniegelenkes deutlich gravierender sind als die eines Knochenbruches. Dieser heilt mit hoher Wahrscheinlichkeit folgenlos aus, während eine bleibende Instabilität nach Riss des vorderen Kreuzbandes die Entwicklung einer frühzeitigen Arthrose bedingen kann.
Über die letzten Jahrzehnte nahm bei den Kreuzbandrissen der Anteil von Kindern und Jugendlichen zu – einerseits sicherlich durch die besseren Möglichkeiten zur Diagnostik, aber auf der anderen Seite auch durch die immer frühere Fokussierung der Kinder auf eine bestimmte Sportart und dadurch einseitiges Training. Die Risikofaktoren, die eine Verletzung des vorderen Kreuzbandes bedingen, sind mindestens so unklar wie die im Erwachsenenalter. Bekannt ist, dass in der frühen Kindheit Buben ein etwas höheres Risiko haben, während in und unmittelbar nach der Pubertät Mädchen gefährdeter sind.
Operieren oder nicht operieren – das ist die Frage
Man nimmt an, dass 50 von 100.000 sportlich aktiven Kinder sich einmal das Kreuzband reißen. Das stellt die Mediziner vor ein Dilemma: Operieren oder nicht operieren? Denn die Wachstumsfugen im kindlichen Knie sind noch offen, eine Verletzung im Zuge des Eingriffs kann zu Wachstumsstörungen führen. Deshalb wurden früher und werden auch heute noch Operationen mit der Empfehlung, Risikosportarten zu meiden, lange Zeit hinausgezögert. Aber kann man einem Kind sagen, dass schnelle Richtungswechsel, Kontaktsport und Stop-and-Go-Bewegungen tabu sind?
Man kann, aber es bedeutet den Ausschluss aus dem Turnunterricht, teilweise aus dem Musikunterricht, ein Verbot von diversen Pausenaktivitäten im Schulhof, und auch in der Freizeit ist nahezu alles verboten, weil das nun mal zu einer normalen Bewegung der Kinder dazugehört. Die absolute Risikominimierung führt zu sozialer Isolation für die Kinder und dementsprechend schlechter Akzeptanz. Die Folge sind oft in jungen Jahren Meniskus- und Knorpelschäden durch das instabile Kniegelenk. Das soll nicht heißen, dass eine konservative Therapie mit Physiotherapie und Zuwarten prinzipiell falsch ist. Sie macht aber eine engmaschige Überwachung notwendig, um Folgeschäden zu verhindern. Daher geht die Tendenz aktuell eher zu einer frühzeitigen Operation „mit spezieller Berücksichtigung der Wachstumsfugen“. Das bedeutet, dass ein Kind nicht auf dieselbe Weise operiert werden kann wie ein Erwachsener. Nach Möglichkeit sollte ein Spezialist für Kniechirurgie mit Erfahrung in kindlicher Kreuzbandchirurgie den Eingriff durchführen.
PAMI-Studie zur Verbesserung der Behandlung
Mit dem Ziel, die Behandlung zu verbessern und zu beobachten, in welchen Fällen ein präventives Vorgehen möglich und sinnvoll ist, nimmt die Praxis Gelenkpunkt an einer Beobachtungsstudie zu kindlichen Kreuzbandverletzungen (PAMI) teil. Im Zuge dieser werden europaweit Daten in ein Register eingespeist, welches 2018 durch die ESSKA – die Europäische Gesellschaft für Sporttraumatologie, Kniechirurgie und Arthroskopie – gegründet wurde. Kinder werden nach einer Operation des vorderen Kreuzbandes bis zum abgeschlossenen Wachstum überwacht. Die erhobenen Daten werden gesammelt und anonymisiert in die europäische Datenbank eingetragen. Selbstverständlich ist die Teilnahme freiwillig und setzt das Einverständnis vom betroffenen Kind und seinen Eltern voraus.
Das Ziel dieser Studie ist nicht nur die Behandlung zu verbessern, sondern auch zu beobachten, wo man eventuell präventiv ansetzen kann, wie häufig Wachstumsstörungen wirklich auftreten, wie eine kindgerechte Rehabilitation angelegt werden soll und wie das Wiederverletzungsrisiko minimiert werden kann.
Anpassung der Therapieinhalte an die skelettale Reife
Auch die Physiotherapie unterscheidet bei der postoperativen Therapie deutlich zwischen Kindern und Erwachsenen: Wie man Bewegungsformen anleitet bzw. durchführen lässt, wie mit Zusatzgewicht im Training, mit Aufklärung, Selbstmanagement und Verantwortung umgegangen wird. Kinder brauchen in dieser Hinsicht mehr Betreuung und Unterstützung durch ihre Bezugspersonen.
Die Inhalte der Therapie müssen auf die physische und psychische Reife des Kindes angepasst werden. Im Schulkindalter (sieben bis zwölf Jahre) sollten therapeutische Übungen spielerisch, abwechslungsreich und nur mit dem eigenen Körpergewicht durchgeführt werden. Die Eltern sollten in den Übungsprozess mit eingebunden werden, um die betroffenen Kinder sowohl in der technischen Umsetzung als auch in der konsequenten Durchführung der Übungen zu unterstützen. Im Jugendalter (zwölf bis 18 Jahre) kann eine gute Bewegungsqualität immer stärker eingefordert werden. Mit dem Beginn der skelettalen Reife wird oft ein Training mit Zusatzgewicht eingebaut.
Kinder weisen ein erhöhtes Reruptur-Risiko auf, daher soll die Sportrückkehr eines Kindes nach vorderer Kreuzbandverletzung langsam, behutsam und später als bei Erwachsenen stattfinden. Das Ende der Rehabilitation ist zugleich der Beginn der Sekundärprävention. Eine konsequente Durchführung sowohl von Kräftigungsübungen der Rumpf- und Beinmuskulatur, als auch die Implementierung von Koordinations-, Sprung- und Lauftraining im Aufwärmprogramm des Mannschafts- bzw. Einzeltrainings führt nachweislich zur Risikoreduktion einer erneuten Verletzung. Hierbei ist spezielle der Fokus auf eine saubere Bewegungsqualität zu setzen.